Wohnen
Wohnen – die wohl komplexeste Debatte in der Politik
Kaum eine Frage polarisiert die Politik so sehr wie die Antwort auf eines der komplexesten Themen, die in der Gesellschaft debattiert werden, wie das Wohnen. Dabei ist nicht das Leben in den eigenen vier Wänden gemeint, sondern die Umstände, unter denen dies geschieht.
Als Mieternation wohnen ca. 53 % aller Menschen in Deutschland zur Miete. Der größte Vorteil an diesem Modell ist die Flexibilität, für Beruf, Familie oder eine Luftveränderung auch kurzfristig den Lebensmittelpunkt wechseln zu können. Sein Nachteil ist, dass aufgrund des sich aufbauenden Mangelns an Wohnraum es zu fortlaufenden Kostensteigerungen kommt, die durch (auch nötige) Sanierungen und Modernisierungen zusätzlich getrieben werden.
Da der Wohnungsmarkt nicht mit dem Markt für bewegliche, produzierbare Güter vergleichbar ist, sind auch seine Mechanismen, wie sich Nachfrage und Preise entwickeln, hochkomplex. Wie bei Industrie und Gewerbe nimmt Wohnraum Fläche ein, die in Städten wie Düsseldorf begrenzt ist. Daher ist er nicht dynamisch und kann nur sehr träge auf den sich (auch kurzfristig) ändernden Bedarf einstellen.
Seit 1998, wo Düsseldorf seinen letzten Tiefstand von 568.000 Einwohnern hatte, hat die Einwohnerzahl um 15 % auf inzwischen 654.000 Einwohnern zugelegt. Attraktive Arbeitsplätze, ein reichhaltiges Freizeit- und Kulturangebot sowie die allgemeine Lebenqualität locken jährlich neue Mitbewohner in unsere Stadt. Dies ist Grund zur Freude, stellt jedoch zunehmend Wohnraumangebot und Infrastruktur unter Druck. Zahlreiche große Stadtentwicklungsprojekte wie die Heinrich-Heine-Gärten in Oberkassel, das Quartier Les Halles in Derendorf, Grafental in Grafenberg oder die ehem. Reitzenstein-Kaserne haben einen großen Teil aufnehmen können – dennoch ist die Nachfrage weiterhin das Angebot deutlich überragend.
Übersicht: Was auch zum aktuellen Problem beiträgt
Komplexe Baunormen- und Gesetze
Jedes Gebäude, das in Düsseldorf entsteht, wird durch verschiedene Gesetze und ihre unterschiedlichen politischen Ebenen beeinflusst. Sowohl Bundesbaugesetze, Landesbauordnungen als auch städtische Satzungen und Verordnungen bestimmen die Form, Größe, Höhe und Ausstattung eines Wohn-, Gewerbe- oder Industriebaus. Trotz guter Absicht haben viele verabschiedete Änderungen/Verschärfungen von Baugesetzen dazu geführt, dass das Bauen von Wohnraum immer komplexer und teurer geworden ist.
Besonders bauliche Vorgaben zum Schallschutz, Wärmeschutz sowie Brandschutz haben zuletzt zu immer komplizierteren Baudetails geführt, die dafür gesorgt haben, dass allein zwischen 2005 und 2017 die Baukosten in Deutschland um 33 % gestiegen sind, während es in den Niederlanden nur 6 % waren.
Facharbeitermangel und hohe Bauarbeitskosten
Nicht nur die Baustoffkosten, sondern auch die Personalkosten beim Bau haben sich durch Inflation, Mindestlohnanpassung sowie modernere Arbeitszeitmodelle massiv erhöht. Gleichzeitig führt der Fachkräftemangel im Bauwesen dazu, dass die Kapazitäten der Gewerke bei großer Nachfrage kaum ausreichen und somit auch für die Beauftragung ganz andere Preise aufgerufen werden, als wenn viele Anbieter um einen Auftrag konkurrieren.
Das Lock-In-Syndrom
Das sogenannte Lock-In-Syndrom im Wohnungsbereich beschreibt eine Situation, in der Bewohner – sei es als Mieter oder Eigentümer – in ihrer aktuellen Wohnsituation feststecken, obwohl diese nicht optimal ist.
Viele Menschen entwickeln eine starke emotionale Verbindung zu ihrem Wohnumfeld oder ihrer Nachbarschaft, was den Gedanken an einen Umzug zusätzlich erschwert. Auch Umzüge sind ein Faktor, denn der Wechsel des Wohnorts ist oft mit finanziellem, zeitlichem und administrativem Aufwand verbunden, was den Umzug unattraktiv macht. Zuletzt ist es auch der Mangel an Alternativen. Besonders in angespannten Wohnungsmärkten gibt es oft nicht genügend verfügbare und vergleichbare Wohnangebote, sodass Bewohner sich gezwungen fühlen, in ihrer jetzigen Lage zu bleiben. Keiner verkleinert sich gerne wohntechnisch, wenn das neue Angebot gleich teuer oder gar teurer ist.
Proteste gegen neue Wohnbebauungen
Die Vorstellung, dass massive bauliche Veränderungen die eigene Wohnsituation nicht nur zum Positiven verändern, sorgt bei vielen Anwohnenden für große Bedenken. Besonders bei großen Bauvorhaben gründen sich zeitgleich Bürgerinitiativen, die in nicht seltenen Fällen sogar das gesamte Vorhaben aus Sorge um ihre eigene Situation versuchen zu verkleinern, verzögern oder gar ganz zu blockieren.
Viele Akteure wirken am Bauen in Deutschland mit
Aufgrund der föderalen Gliederung der Bundesrepublik gibt es mehrere Ebenen, die rechtliche Rahmenbedingungen für das Bauen in Deutschland setzen: 1. der Bund (u. a. durch das Baugesetzbuch), 2. das Bundesland (Landesbauordnungen) und 3. die Kommune durch ihre Ämter.
In der öffentlichen Debatte wird diese Trennung der Zuständigkeiten oft außer Acht gelassen und den Menschen wird der Eindruck vermittelt, dass Städte allein genug tun könnten, was aber nur bedingt richtig ist. Nachfolgend möchte ich Euch einen Überblick geben, was Kommunen wie Düsseldorf eigenständig an Instrumenten haben, um den Wohnungsmarkt aktiv beeinflussen zu können.
Wo Städte Einfluss auf bezahlbaren Wohnraum haben
Bauleitplanung und Baulandmobilisierung
Städte haben über das Baugesetzbuch (BauGB) die Möglichkeit, durch Flächennutzungs- und Bebauungspläne zu steuern, wo und in welchem Umfang Wohnraum entsteht. Sie können beispielsweise durch die Ausweisung neuer Baugebiete, Nachverdichtung oder den Umbau von Gewerbeflächen in Wohnraum das Angebot erhöhen.
Vergabe kommunaler Grundstücke
Kommunen, die selbst Eigentümer von Grundstücken sind, können diese gezielt an Bauträger vergeben, die sich zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum verpflichten. Ein Beispiel ist das Konzeptverfahren, bei dem nicht das höchste Gebot entscheidet, sondern soziale Kriterien wie Mietpreisbindungen.
Soziale Erhaltungssatzungen (Milieuschutz)
Städte können durch Erhaltungssatzungen nach § 172 BauGB verhindern, dass günstiger Wohnraum durch Luxussanierungen oder Umwandlungen in Eigentumswohnungen verdrängt wird. Dies geschieht häufig in stark nachgefragten innerstädtischen Lagen.
Kontext: Warum wir Erhaltungssatzungen kritisch sehen
Der Zweck von Erhaltungssatzungen oder auch Milieuschutzsatzungen ist, dass den Wohnbestand aufwertende Sanierungen nicht dafür genutzt werden sollen, den Wohnraum nach der Sanierung deutlich teurer zu vermieten. Was für manche auf den ersten Blick als smarte Maßnahme erscheint, birgt ein sehr unpräzises Bürokratiemonster.
Diese Satzung führt auch dazu, dass selbst Eigentümer ihrer Wohnungen nicht mehr frei entscheiden dürfen, wie sie ihre Wohnung sanieren. Ein Staat, der Vorgaben für den Bodenbelag, die Beschaffenheit eines Bades oder die Dimensionierung eines (erneuerten) Balkons macht, verhält sich übergriffig und sorgt am Ende dafür, dass eine sonst periodische Modernisierung des Wohnbestandes zum Kraftakt wird. Wir erinnern uns alle an die heute sehr verschmälerten 70er-Jahre-Bäder mit ihren heute aus der Mode gefallenen Fliesen. Auch die Kernsanierung und zugleich Modernisierung solcher Bäder kann damit zur unnötig komplexen Aufgabe werden.
Förderung von sozialem Wohnungsbau
Städte können über eigene Wohnungsbaugesellschaften oder Förderprogramme für private Investoren die Schaffung von preisgebundenem Wohnraum vorantreiben. In Zusammenarbeit mit Land und Bund werden oftmals Zuschüsse oder zinsgünstige Kredite bereitgestellt, um den Neubau oder die Modernisierung günstiger Wohnungen zu unterstützen.
Vorgaben für private Investoren (Sozialquote)
Viele Städte haben Regelungen eingeführt, nach denen private Investoren bei größeren Bauvorhaben einen bestimmten Anteil der Wohnungen zu vergünstigten Mietpreisen anbieten müssen (z. B. 30% geförderter Wohnungsbau bei Neubauprojekten).
Mieterschutzmaßnahmen
Kommunen können in angespannten Wohnungsmärkten Maßnahmen wie Mietpreisbremse und Zweckentfremdungsverbot durchsetzen, um Mietensteigerungen zu begrenzen und Wohnraum nicht für touristische Vermietung oder gewerbliche Zwecke zu verlieren.
Nachfolgend möchte ich aus Transparenzgründen aufführen, worauf Städte wenig Einfluss haben. Dies liegt entweder an Grenzen unserer politischen Kompetenz oder wirtschftlichen bzw. privaten Faktoren, die landes- oder bundesweite Auswirkungen haben.
Wo Städte wenig bis keinen Einfluss haben
Baukosten und Materialpreise
Die gestiegenen Kosten für Baustoffe, Fachkräfte und Energie sind globalen oder bundesweiten Marktentwicklungen unterworfen. Städte können diese Kosten kaum beeinflussen, sondern lediglich indirekt durch effiziente Vergabeverfahren oder Förderung kostensparender Bauweisen wie serielles Bauen.
Zinspolitik und Finanzierungsbedingungen
Die Kosten für Baukredite hängen maßgeblich von der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Zinspolitik der Banken ab. Höhere Zinsen verteuern Neubauten und wirken sich direkt auf die Mietpreise aus – eine Stellschraube, an der Städte nicht drehen können.
Bundes- und Landesgesetzgebung
Viele Regelungen, die den Wohnungsmarkt betreffen, sind auf Bundes- oder Landesebene geregelt. Dazu zählen unter anderem das Mietrecht, Steuervergünstigungen oder Förderprogramme. Städte können hier lediglich über Lobbyarbeit oder kommunale Wohnbündnisse Einfluss nehmen.
Private Investitionsentscheidungen
Städte sind oft darauf angewiesen, dass private Bauherren und Investoren Projekte realisieren. Sie können zwar Anreize setzen, aber letztlich entscheiden Marktakteure, ob und wann sie bauen – insbesondere in wirtschaftlich unsicheren Zeiten oder bei steigenden Bauzinsen.
Bestes Beispiel hierfür sind zahlreiche Großprojekte, besonders im Gewerbebau, welche aufgrund der Zinswende der EZB plötzlich unrentabel wurden. Dazu fällt unter anderem das Hochhausprohekt Gateway am Kennedydamm oder die aktuelle Bauruine des Carschhauses aufgrund der Signa-Insolvenz.
Spekulation und Kapitalströme
Internationale Kapitalanlagen im Immobiliensektor sowie spekulative Zurückhaltung von Bauland oder Wohnungen entziehen sich weitgehend dem Einfluss der Kommunen. Zwar können Städte mit Vorkaufsrechten oder Bebauungsgeboten gegensteuern, doch diese Instrumente sind rechtlich und finanziell oft schwer durchsetzbar. Besonders wenn sich erst nachträglich das Scheitern eines Projektes abzeichnet.
Mit den Flächen des Grand Centrals hinter dem Hauptbahnhof und der Gerresheimer Glashütte hat Düsseldorf leider auch schlechte Erfahrungen mit diesen Faktoren machen müssen.
Kommen wir nach dieser ausführlichen aber auch wichtig Hintergrundinformationen zu meinen konkreten Vorschlägen, was ich für Düsseldorf als probate aber auch effiziente Möglichkeiten für mehr Wohnraum in vergleichsweise schneller Zeit ansehe.
5 Punkte für mehr leistbaren Wohnraum in Düsseldorf
Förderung und Vereinfachnung von Aufstockungen
Ein großer Faktor beim finanzieren von Bauprojekten ist das Grundstück. Mit jeder Übernahme durch einen neuen Besitzer erlebt es eine Wertsteigerung. Die Möglichkeit, Bestandsgebäude baulich zu nutzen anstelle abzureißen und neu zu bauen brigt ein großes Potenzial für hunderte oder gar tausende Wohnungen in Düsseldorf. Das Berliner Unternehmen Leaftech ermittelte in NRW ein Potenzial für neue Wohnungen durch Aufstockungen allein von 21.384 Wohneinheiten.
Geeignete Bürogebäude in Wohnraum umwidmen
Auch wenn viele Bürogebäude aufgrund ihrer baulichen Tiefe sich nicht pauschal für die Weiternutzung als Wohnraum eignen, gibt es doch viele Objekte, bei denen sich mit etwas architektonischer Kreativität ein großes Potenzial ergibt. Ein sehr gutes Beispiel ist der ehemalige Thyssen-Trade-Center an der Grafenberger Allee neben dem BMW-Zentrum. Auch hier kann die Stadt gezielt mit Ausnahmegenehmigungen für nur schwer zu 100 % umsetzbare Anforderungen viel ermöglichen.
Genehmigungsverfahren vereinfachen und digitalisieren
Ein nicht zu unterschätzender Teil an Geld und Zeit fließt in die Planung und Genehmigung. Seit 2022 gibt es den digitalen Bauantrag, der Architekturbüros nicht mehr die Zeit und (unnötige) Mühe abverlangt, ganze Papierberge in x-facher Ausfertigung zu liefern. Stattdessen erfolgt der komplette Bauantrag digital, was viel Zeit spart. Auch passende Ansprechpartner bei der Stadt, die Architekten oder Bauherren hinsichtlich erforderlicher unmittelbar und unbürokratisch helfen können, spart nicht unerhebliche Kosten.
Nachverdichtung bzw. Umnutzung von bereits versiegelten Flächen
Auch in Düsseldorf gibt es zahlreiche versiegelte Plätze, die z. B. nur von Kunden eines Supermarktes oder Fachmarktes genutzt werden. Diese Plätze lassen sich durch eine smarte Neuentwicklung (Tiefgarage – Gewerbeebene – Wohnebenen) oder aufgeständerte Bebauungen deutlich effektiver und nachhaltiger nutzen. Zwei Beispiele dafür sind die neuen sogenannten Metropol-Filialen eines großen Discounters oder die Überbauung des Parkplatzes am Dantebad in München.
Eine vorausschauende Bodenpolitik
Bei großen Transformationsprozessen wie bei der Glashütte Gerresheim kommt es oft zu großen Grundstückswechseln. Hier hat sich gezeigt, dass besonders bei Käufen großer Grundstücke zu einem gewaltigen Potenzial für Bodenspekulation kommt. Seit 2008 hat sich dort kein Bagger bewegt. Um in Zukunft solche Erfahrungen zu vermeiden, sollte die Stadt bei für Wohnraum infrage kommenden Grundstücken ihr städtisches Vorkaufsrecht nutzen, um bei einer Weitergabe an Bauinteressierte stärker und nachhaltiger Einfluss nehmen zu können. Ein gutes Beispiel ist die Bodenpolitik der Stadt Ulm.